Bösartiger Schock

Hambley (2021)

Ein 48-jähriger Mann wird mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme gebracht, nachdem er zu Hause bewusstlos aufgefunden wurde. In der Notaufnahme wird ein sehr blasser Mann mit niedrigem Blutdruck (80 mmHg systolisch und 60 mmHg diastolisch), einer hohen Herzfrequenz (115 Schläge pro Minute) und einer hohen Atemfrequenz (~25 Atemzüge pro Minute, normal sind ~12 pro Minute) angetroffen. Zu diesem Zeitpunkt hat er kein Fieber, was möglicherweise auf die Einnahme von Paracetamol und Ibuprofen zurückzuführen ist.

Bei der körperlichen Untersuchung erbricht der Mann und sein klinischer Zustand verschlechtert sich erheblich. Bei der Punktion einer IV- und Arterienleitung wird festgestellt, dass die Punktionsstelle weiterhin stark blutet. Die ersten Laborergebnisse sind nun bekannt;

Parameter	EHS	Ref.	Einheiten

Hämoglobin	3.5	8-10.5	mmol/L
MCV	100	83-100	fL
Erythrozyten	1.5	4.4-6	⋅10¹²/L
Thrombozyt	20	150-400	⋅10⁹/L
Leukozyten	48	4-10	⋅10⁹/L

CRP	245	<8	mg/L
Procalcitonin	20	<0.1	ng/mL
Kreatinin	400	65-115	µmol/L
AST	190	<35	U/L
ALT	140	<45	U/L

pH	7.2	7.35-7.45
PO2	85	80-100	mmHg
PCO2	15	35-45	mmHg
HCO3	9	22-29	mmol/L
Laktat	15	0.7-2.1	mmol/L

TPZ	22	9-12	sec
PTT	45	24-33	sec
Fibrinogen	1	2-4	g/L
D-Dimer	>10	<0.5	mg/L

Diese Ergebnisse zeigen Anämie, Thrombopenie und Leukozytose. Aufgrund des stark erhöhten CRP und Procalcitonin wird eine bakterielle Infektion vermutet. Die Blutgase zeigen eine metabolische Azidose (niedriger pH-Wert mit niedrigem Bikarbonat und hoher Laktatproduktion).

Die Laktatbildung ist das Ergebnis einer anaeroben Oxidation in den Geweben aufgrund einer unzureichenden Durchblutung (Schock) und damit einer unzureichenden Sauerstoffversorgung (Hypoxie). Eine der Möglichkeiten des Körpers, die Azidose zu bekämpfen, besteht darin, das saure Kohlendioxid durch die Atmung auszuatmen. Der Patient tut dies bereits; er hat eine stark erhöhte Atemfrequenz und einen niedrigen pCO2-Wert. Dies wird als respiratorische Kompensation bezeichnet.

Darüber hinaus zeigen die Laborergebnisse eine dysregulierte Gerinnung mit verlängerter PT, PTT, verringertem Fibrinogen und erhöhtem D-Dimer. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit der Aktivierung der Gerinnung (erhöhtes D-Dimer) und dem Verbrauch von Faktoren (verlängerte PT, PTT und verringertes Fibrinogen). In Verbindung mit der Thrombopenie und der klinischen Beobachtung von Nachblutungen wird eine diffuse intravasale Gerinnung vermutet.

Zur Beurteilung der diffusen intravaskulären Gerinnung (DIC) wird üblicherweise der DIC-Score verwendet, bei dem Anomalien der Thrombozytenzahl, des PT, des Fibrinogens und des D-Dimers eine bestimmte Punktzahl ergeben. Eine Punktzahl von mehr als 5 ist für eine DIC angemessen. Dieser Patient hatte einen Score von 8. Siehe auch ISTH-DIC-Score

Intensivpflege

Da die Atmung beim Atemausgleich viel Kraft kostet und der Patient erschöpft ist, wird er auf die Intensivstation gebracht, wo er sediert und intubiert wird. Inzwischen liegen auch die Ergebnisse der mikroskopischen Differenzierung vor, auf denen das folgende Bild zu sehen ist;

Vorbereitung eines Patienten mit Schistokokken und stark granulierten Leukozyten.

Stark körnige, atypische Leukozyten, von denen einige einen bilobulären Zellkern haben. Die Zellen werden als Promyelozyten bezeichnet.

Im Blutausstrich sind Schistozyten zu sehen, was mit der bereits etablierten DIS übereinstimmt; sie sind das Ergebnis von Erythrozyten, die sich an Gerinnseln und Fibrinfilamenten im Kreislauf auflösen. Außerdem wurden atypische, stark granulierte Leukozyten gesehen, von denen einige einen bilobulären Zellkern zu haben scheinen. Die Leukozyten weisen keinen klassischen Phänotyp auf, sondern werden aufgrund der starken Granulation und des bilobulären Kerns als Promyelozyten bezeichnet. Die Gesamtanteile der verschiedenen Leukozyten stellen sich wie folgt dar;

Parameter	EHS	Ref.	Einheiten

Blasten	1	0	⋅10⁹/L
Promyelozyten	46	0	⋅10⁹/L
Myelozyten	2	0	⋅10⁹/L
Metamyelozyten	1.1	0	⋅10⁹/L
Stäbe	0.5	0-0.1	⋅10⁹/L
Segmenten	1.7	1.5-6.5	⋅10⁹/L
Eosinophile	0	0-0.4	⋅10⁹/L
Basophile	0	0-0.1	⋅10⁹/L
Lymphozyten	3	1-3.5	⋅10⁹/L
Monozyten	0	0.2-0.9	⋅10⁹/L

Durch die Zunahme der Vorläufer der Neutrophilenreihe kommt es zu einer "Linksverschiebung". Im Prinzip ist dies bei einer Sepsis nicht ungewöhnlich, aber in diesem Fall ist die Zahl der Promyelozyten zu stark erhöht. Darüber hinaus werden Blasten bei einer einfachen Sepsis normalerweise nicht gesehen. In Kombination mit dem atypischen Erscheinungsbild ergibt sich der Verdacht auf eine Akute Promyelozyten-Leukämie. Die CITO-DNA-Diagnostik zeigt eine t(15;17)-Translokation und bestätigt damit die Diagnose APL.

Kurs

Trotz Beatmung, Füllung, Transfusion und Vasopression gelingt es nicht, die Hämodynamik des Patienten zu korrigieren. Die Azidose und die Hypoxie halten an und verursachen umfangreiche Schäden an den Organen des Patienten, der innerhalb weniger Stunden nach Einlieferung in die Notaufnahme an septischem Schock und APL stirbt. Bei der Autopsie werden in vielen Organen kleine Blutungen festgestellt, was der erhöhten Blutungsneigung im Zusammenhang mit der APL angemessen ist.

Sowohl eine Sepsis als auch eine APL können zu einer DIS führen. Bei der Sepsis sind es die Bakterien, die zur Aktivierung des Endothels und zur Gerinnung führen. Bei einer APL sind es vor allem die aberranten Promyelozyten, die unter anderem den gerinnungsfördernden Tissue Factor (TF) produzieren. Außerdem exprimieren sie Annexin II, ein Membranprotein, das die Bildung von Plasmin bewirkt; stark erhöhte Plasmin-Konzentrationen führen dann zum Abbau des Gerinnsels. Das Gerinnungsproblem bei der APL ist also multifaktoriell: Einerseits besteht eine Thrombopenie durch die Leukämie (Knochenmarkverdrängung) und ein Verbrauch von Gerinnungsfaktoren durch Gerinnungsaktivierung, andererseits kommt es tatsächlich zu einem vermehrten Abbau von Gerinnseln, der ohne Therapie zu lebensbedrohlichen (inneren) Blutungen führt.